Stefan Blankertz

Leb in Gesellschaft, die deine ist

Wie die Gestalttherapie sich entwickelte zwischen Berlin und New York


Schriftenreihe des Berliner Gestaltsalons in der edition g. 411


Gestalttherapie ist ein einzigartiges therapeutisches Konzept: Menschen in psychischen Nöten beizustehen und beim Zurückfinden in Lebensfreude zu unterstützen, ohne sie in die Tretmühle zu re-integrieren. Sinnvolle, für sich selbst hilfreiche, nicht selbst-zerstörerische Rebellion mit notwendiger, für den Organismus gerade mal eben so noch akzeptabler Anpassung zu kombinieren, ist ein hartes Brot.

Auf die Gründungseltern der Gestalttherapie einwirkende biographische, geschichtliche und kulturelle Quellen werden hier zusammengeführt und lassen die Entstehung der Gestalttherapie lebendig werden: Laura und Fritz Perls aus Deutschland und Paul Goodman in Amerika bilden ein Team starker Gegensätze, geeinigt von ihrem Stammvater Sigmund Freud und seinem gefallenen Engel Wilhelm Reich: Dieses Buch ist eine Tour de force, dessen Autor sich seit einem halben Jahrhundert mit der Theorie der Gestalttherapie befasst.

Der Titel dieses Buchs ist eine Anlehnung an Goodmans Satz «The Society I Live In Is Mine», Titel einer 1962 erschienenen Sammlung seiner Briefe an Vertreter von Politik und Medien: Ich behandle sie, sagte Goodman, als seien sie meine Angestellten (obwohl er wusste, dass dem nicht so ist). Der Satz besteht aus drei Anapästen. Die Übertragung in drei Daktylen war eine mühsame Arbeit von mehreren Wochen und einigen Schluck Whisky sowie viel Kopfschütteln meiner Frau. Auch der Untertitel gelang dann in einer daktylischen Form, was im trochäischen Deutschen kein einfach zu erzielender Versfuß ist, wie jeder leibhaftig spüren kann, wenn er die Voß’sche ­Homer-Übersetzung vom Ende des 18. Jahrhunderts liest.

Die Fließtext-Schrift ist die Adobe Caslon von Carol Twombly, die auf der von William Caslon entworfenen, ersten Schriftfamilie englischen Ursprungs basiert. In ihr wurde die amerikanische Unabhängigkeitserklärung gesetzt – und Goodmans Roman «The Empire City». Für die Headlines verwandte ich den Google Font Protest Riot von Octavio Pardo.

Was die Auswahl an Themen und an Autoren betrifft, halte ich mehr davon, wichtige Hinsichten eingehender zu untersuchen, als Namen ohne eine weitere Erklärung aneinander

zu reihen mit dem Vermerk, dieser oder jener sei auch noch zu bedenken oder habe auch noch eine Rolle für die Eltern der Gestalttherapie gespielt. Meine Kriterien der Auswahl waren erstens Aktualität, zweitens systematischer Status in der Theorie der Gestalttherapie sowie drittens der biographische Bezug zu den Eltern. Anscheinend hat jeder Text, wie Judith Butler sagt, «mehr Quellen, als er in seiner eigenen Begrifflichkeit re­konstruieren kann».

Und das Titelbild? «Niños comiendo uvas y melón» von Bartolomé Esteban Murillo um 1650, Öl auf Leinwand, 146 × 104, Alte Pinakothek, München gemeinfrei via The Yorck Project. Der Straßenjunge. Horatio (Protagonist des Romans «The Empire City»). Und sein Freund. Oder Bruder? Eine Gesellschaft, die ihre ist. Beim Essen. Das Ich, der Hunger und die Aggression. Trauben und Melone. Messer. Zähne. Genuss. Freundschaftliches Teilen.

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Leseprobe


342 Seiten

€ 20,00 [D]

ISBN 978-3-7597-7914-4