Stefan Blankertz
Sappho, gegendert
6×9 Songs
Stellen Sie sich vor, eine Lyrikerin aus den Tiefen Altgriechenlands, wiederauferstanden heute als Slam-Poetin. Stellen Sie sich vor, sie hieße Sappho von Lesbos, die 10. Muse. Stellen Sie sich vor, wie verstört die Ikone der lesbischen Liebe auf die Genderdebatte reagieren müsste. Wie schreibt sie Gedichte in der oder gegen die gegenderte Sprache? Stellen Sie sich vor, die Informationen über den neuerlichen Auftritt seien bruchstückhaft wie unser Wissen über die historische Sappho.
Wie?, die unpolitische, privatistische Sappho als Protestsängerin? Sie wird dazu angesichts der »Dekonstruktion des Weiblichen« und einer politischen Korrektheit, in der sie sich nicht mehr artikulieren kann. Ein Buch zum Entdecken. Zum Aufregen. Zum Lachen und zum Heulen. Denn die politische Korrektheit schlägt gnadenlos zu, und als Sappho dann noch das Liebesglück verlässt, endet die Stippvisite aus der Vergangenheit tragisch. Die hämischen Nachrufe des Mainstreams sind ihr sicher.
Als sapphische Oden angelegt, die den Umständen entsprechend ein wenig aus dem Takt geraten, kreiseln die Gedichte um die Liebe in gefühlskalten Zeiten, die nichtmal mehr Negerküsse zulassen. Sapphos Protest orientiert sich am klassischen Ideal, während die Sprache um sie herum konstruiert wird. Über die Regeln wacht eine Toleranzpolizei. Deren Credo: Niemand dürfe sich zurückgendern zur alten Ordnung; aber schon diese Formulierung ist nicht in gendergerechter Sächlichkeit verfasst.
60 Seiten, Ringbuch, mit drei Faksimile-Seiten, [D] 12,80 €
ISBN 978-3-7347-1682-9